diumenge, 22 de novembre del 2015

Der Kampf um die Sprache tobt weiter

A L'INREVÉS T'HO DIC, PERQUÉ M'ENTENGUIS 
Katalonien im Streit um die Indepèndencia

Der Kampf um die Sprache tobt weiter

Wer spanischer Muttersprache ist, hat das Nachsehen: Der katalanische Nationalismus ist auf dem Vormarsch. Nicht nur in Barcelona schlagen die Wellen hoch.
  • von Michi Strausfeld
Flagge zeigen – Demonstranten ziehen am 11. September 1977, dem katalanischen Nationalfeiertag «La Diada», durch die Strassen von Barcelona.
Flagge zeigen – Demonstranten ziehen am 11. September 1977, dem katalanischen Nationalfeiertag «La Diada», durch die Strassen von Barcelona. (Bild: Clara Nazario / EFE / Keystone)
Wenn man heute zwischen alle Stühle fallen möchte, vertritt man eine Meinung über Katalonien. Die Bewegung, genannt «el procès», hat eine Dynamik gewonnen, die das öffentliche Leben bestimmt. Sie weckt enorme Leidenschaften, treibt Befürworter oder Gegner auf die Strassen, prägt die Debatte in den Medien, findet auf dem Fussballfeld statt, spaltet Freunde und Familien. Über eine «Bewegung» verhandelt man nicht, sie kümmert sich nicht um Gesetze, sie akzeptiert nur das, was in die eigene Argumentation passt, will neue «Fakten» schaffen. Gibt es überhaupt noch irgendeine Objektivität? Wie sieht das Kräfteverhältnis zwischen den verhärteten Fronten aus – materiell, intellektuell, emotional?
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Franco und die Folgen
Als Franco am 20. November 1975 starb, gab es ein zentralistisch regiertes Land, in dem die jahrzehntelang unterdrückten Minderheiten – Basken, Katalanen und Galicier – sich kaum zu Wort melden konnten. Die Basken waren vor allem als Terroristen aktiv und gefürchtet, die Galicier verhielten sich eher still, und mehr als eine Million Katalanen ging erstmals am 11. September 1977 mit ihren Fahnen auf die Strasse, um für eigene Rechte, Sprache und Kultur zu demonstrieren: Dieser «grosse Tag», La Diada, wurde zu einem Fest- und Feiertag, der seitdem jedes Jahr die fahnenschwenkenden Massen aus Stadt und Land versammelt, die – neuerdings – für die Independència kämpfen.
Das Leben in Barcelona und Katalonien hat sich seit Rückgewinnung der Demokratie grundlegend verändert. 1979 verabschiedete das frei gewählte spanische Parlament ein Autonomiestatut: Katalanisch wurde gleichberechtigte Amtssprache neben Spanisch. Das war überfällig, denkt man an die tausendjährige Kultur. Es folgten weitere Verbesserungen. 1983 wurde das erste «Gesetz der linguistischen Normalisierung» erlassen: Die Rechte der Kinder auf ihre Erziehung in der Muttersprache werden gewährleistet, die Verwaltung sorgt dafür, und die Eltern können dies rechtlich einfordern.
Das zweite Gesetz zum Thema fügte 1998 das Konzept der «lengua vehicular» («Verkehrssprache») hinzu. 2009 schrieb das «Erziehungsgesetz» das Katalanische als «lengua vehicular» fest, die Sicherstellung der kastilischen Rechte wurde marginalisiert und wird jetzt gerne vergessen. Inzwischen gibt es Tausende von öffentlichen Schulen, die den gesamten Unterricht auf Katalanisch erteilen – Spanisch wird Fremdsprache, mit drei Wochenstunden. An teuren Privatschulen gibt es Parität zwischen Katalanisch, Spanisch und eventuell Englisch, aber das generiert auch sozialen Sprengstoff: Wer sich keine Privatschule leisten kann und muttersprachlich Spanisch spricht, was tun? Einzelne Eltern haben geklagt, bekamen auch recht, aber wer möchte sein Kind als Aussenseiter gebrandmarkt sehen? Der Druck der Gesellschaft ist gross.
Die Sprachpolitik ist eines der Hauptanliegen der autonomen Regierungen. Spanische Orts- und Strassennamen wurden katalanisiert, alle Geschäfte tragen katalanische Schilder, die Speisekarten sind katalanisch (dürfen zusätzlich in Spanisch und anderen Sprachen gedruckt werden), Nichtbefolgung kann von der «Sprachpolizei» geahndet werden. Museums- und Ausstellungsschilder sind meist zweisprachig: Katalanisch und Englisch. Viele Politiker der nationalistischen Parteien lehnen die Zweisprachigkeit – die das Wesen Barcelonas ausmacht, zumal mehr Einwohner muttersprachlich spanisch sind – dezidiert ab.
Der Kampf um die Sprache tobt immer heftiger. Als Katalonien 2007 Ehrengastland der Frankfurter Buchmesse war, einer der teuersten Auftritte, den es dort je gab (laut Medienberichten kostete er zirka 12 Millionen Euro), wurde kein spanischsprachiger Autor eingeladen oder erst nach deutschem Protest halbherzig und mit deutlicher Verspätung. Die Folge: Keiner wollte mehr anreisen, weder Juan Goytisolo, Juan Marsé, Eduardo Mendoza noch Carlos Ruiz Zafón, um nur die berühmtesten zu nennen. «Jetzt sind wir dran», fasste es Jaume Cabré zusammen, der in Frankfurt (zu Recht) gefeiert wurde.
Aber was geschah und geschieht mit den spanischsprachigen Autoren Kataloniens, die nicht so berühmt sind, die doch Förderung verdienen? Jeder drittklassige katalanische Autor, jedes übersetzte Wort wird subventioniert, jede Reise, jeder Auftritt. Und die anderen?
Nuria Amat, aus bekannter katalanischer Familie, die spanisch schreibt, machte im Frühjahr dieses Jahres ihrer Besorgnis und auch ihrem Ärger über die zunehmende einseitige Nationalisierung Luft: Sie publizierte einen «Brief an George Orwell über den Nationalismus und Katalonien», der in «El País» und mehreren Übersetzungen publiziert wurde. Sie erklärte: «Heute entfernt man uns Schriftsteller, die wir gegen den Nationalismus sind, aus der Presse, den Medien, den Universitäten und allem, was von unserer Existenz künden könnte. Die Regionalregierung nimmt direkten Einfluss auf die Besetzung von Posten und finanziert einen sektiererischen Kulturbetrieb. Sie haben alles gekauft: Buchverlage, Universitäten, Zeitungen. Wir haben den Eifer des Separatismus satt.» Als der Text auch in «Clarín» in Buenos Aires gedruckt wurde, brach ein Shitstorm über die Autorin herein. Die Generalitat verlangte eine «Gegendarstellung», die der (zu Recht gelobte) Albert Sánchez Pinyol verfasste. Und er war nicht zimperlich in der Wortwahl, mit der er Nuria Amat beschimpfte.

«Katalanische Werte»

Aber wie sieht nun der Kampf zwischen den beiden verfeindeten Sprach- und Literaturgruppen aus? Ein paar Zahlen: Das Institut Ramón Llull, 2002 gegründet, ist verantwortlich für die Förderung der katalanischen Kultur und verfügt über ein beneidenswertes Jahresbudget: Es unterhält vier Zweigstellen in Berlin, Paris, London und New York (eine Art Botschaft), lädt Journalisten zu grosszügigen Informationsreisen ein, subventioniert Konzerte, Ausstellungen, Literatur, Theater und Film im In- und Ausland. Daher spielt man in Barcelona z. B. Lorca auf Katalanisch. Bibliotheken und Mediatheken werden vorwiegend mit Ankäufen katalanischsprachiger Kulturschaffender bestückt. Bevorzugt sind neuerdings Themen, die die «katalanischen Werte» behandeln.
Präsident Mas subventionierte das Katalanische in südfranzösischen Kindergärten mit 400 000 Euro, förderte mit 600 000 Euro den Sprachunterricht in Japan oder Ecuador, finanziert den Fernsehsender TV 3 und katalanische Radiosender. 2013 gab er 93,5 Millionen Euro für alle Kommunikationsmedien aus. Andere Bereiche werden vernachlässigt – so werden die Ausgaben für Gesundheitswesen und Erziehung gnadenlos gekürzt. Aber: Madrid beraubt uns, so lautet der proklamierte Slogan, daher haben wir kein Geld.
Im Sommer 2015 tobte eine Polemik, weil der peruanische Autor Santiago Roncagliolo, seit vielen Jahren in Barcelona ansässig, in seinem Artikel «Wir verpassen das Fest» behauptete, dass die lateinamerikanischen Autoren die Stadt, einst ihr «Mekka», nach und nach verlassen. Inzwischen kann man sie an einer Hand aufzählen, während es in den siebziger und achtziger Jahren eine starke Präsenz gab, ein lebendiges Miteinander. Vargas Llosa, der fünf Jahre in Barcelona lebte, hat sich mehrfach kritisch über den wachsenden Nationalismus geäussert und die unübersehbare, zunehmende Provinzialität beklagt. Er prophezeit Katalonien eine «Existenz am Rande», regiert von Fanatikern; die angestrebte Unabhängigkeit sei eine «wirkliche Katastrophe». Das hören die Katalanisten überhaupt nicht gern.
Aber auch die mittlerweile nach Madrid umgezogenen Katalanen finden deutliche Worte, so der Theaterregisseur Alberto Boadella, der die angebliche «Andersartigkeit» leugnet, oder der Essayist Félix de Azúa, der schon Mitte der achtziger Jahre die kulturelle Entwicklung mit der «Titanic» verglich. Der in Barcelona lebende Autor Juan Marsé befindet, dass die «katalanische Vergangenheit, die man erfindet, reine Lüge» sei. In den Medien tobt der Kampf um die korrekte Deutung des «Procès». Staatsrechtler, Philosophen, Essayisten, Ökonomen, Autoren: Alle ergreifen das Wort. Aber es ist ein ungleicher Kampf: dokumentierte Artikel gegen subventionierte Propagandakampagnen.
Der Journalist Arcadi Espada verteidigte gegenüber der Deutschen Welle sein Recht, die offiziellen Lügen anzuprangern. Und der pensionierte Staatsanwalt Carlos Jiménez Villarejo stellte die Frage: «Zur Unabhängigkeit mithilfe der Korruption?» Immerhin gewinnt der «3-Prozent-Skandal», d. h. die obligatorische Abgabe bei jedem öffentlichen Auftrag des jahrzehntelangen «molt honorable» Präsidenten Jordi Pujol (und seiner sieben Kinder) inzwischen stratosphärische Konturen. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Villarejo, man habe ihm mehrfach geraten, «die Koffer zu packen». Auch Nuria Amat kämpft weiter. Ihren Artikel über «Die nationalistische Plage» beendete sie unlängst mit dem Aufruf: «Wir alle tragen den Schaden und verlangen, dass wir das Katalonien zurückbekommen, das sie uns entwendet haben.»
Die Gesellschaft ist zutiefst gespalten und zerstritten. Auch wenn die Mehrheit (52 Prozent) der Bevölkerung gegen die Unabhängigkeit votiert hat, setzen die Politiker ihren Weg – wider jedes Gesetz – fort, das erlaube die Mehrheit der Sitze (aber die Wahlkreise sind höchst verschieden: In Barcelona braucht man für einen Abgeordneten doppelt so viele Stimmen wie in der Provinz). Die Katalanen sind nämlich die «Opfer», seit dem Mittelalter werden sie unterdrückt, wie es die Parlamentspräsidentin behauptete. Der «victimismo» beherrscht den politischen Diskurs. Ob die Wahlen am 20. Dezember, in dem der regierende Partido Popular seine Mehrheit verlieren dürfte, neue Wege aus dieser Sackgasse finden werden?

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