Die Welt 13.02.14
Politik in der 18. Minute
Die Katalanen fordern Unabhängigkeit von Spanien, selbst
im Stadion des FC Barcelona. Die Regierung in Madrid lässt nicht mit
sich reden – und heizt damit den Widerstand noch mehr an Von
Florian Eder
Die Fragen an ihre
Bürger haben Kataloniens Parteien schon formuliert. "Wollen Sie, dass
Katalonien ein Staat wird? Falls ja, soll dieser Staat unabhängig sein?"
Dazu sollen sich die Katalanen im kommenden November äußern – wenn sie
denn dürfen, wenn Madrid sie lässt. "Ich werde so wählen: ja und ja",
sagt Artur Mas im Gespräch in seinem Amtssitz in Barcelona.
Der Präsident der Regionalregierung hat ein erklärtes Ziel: einen
unabhängigen Staat Katalonien. Und er will es durchsetzen, heute mehr
denn je. "Die Unabhängigkeit ist die natürliche Zukunft einer alten
Nation, die Sprache, Kultur, ihr Territorium bewahrt hat", sagt er.
In diesem Selbstverständnis
liegen schon alle Missverständnisse zwischen den Katalanen und der
spanischen Regierung verborgen. Der Sezessionswunsch Kataloniens:
unverständlich, unmöglich, sogar illegal für die Hauptstadt, gewertet
als unbotmäßiger Angriff auf die staatliche Einheit. "Solange ich
Ministerpräsident bin, wird es das Referendum, das einige wollen, nicht
geben, und Spanien
wird nicht zersplittern", sagte Premierminister Mariano Rajoy kürzlich.
"Damit das ganz klar ist." Katalonien ist keine Nation, so sieht es der
Premier, Spanien ein Einheits- und kein Bundesstaat. Alle
Autonomierechte der Regionen sind spanisches Zugeständnis, die
Verfassung ist so, wie sie ist – und aus.
Damit könnte die
Geschichte zu Ende sein. Aber diesmal, nach katalanischer Zeitrechnung
300 Jahre nach dem Verlust einer einstigen Autonomie 1714, wollen es die
Katalanen aufnehmen mit ihrem Zentralstaat, von dem sie sich seither
finanziell ausgepresst und in ihren Besonderheiten nicht gewürdigt
fühlen. Sie warten, sie lauern, und am Ende wird es ein Wettbewerb darum
sein, wer hartnäckiger ist: die konservative Partido Popolar unter
Rajoy in Madrid, überhaupt die politische Elite der Hauptstadt, oder die
katalanische Unabhängigkeitsbewegung.
Dass es den
Katalanen ernst ist, kann das Land seit einiger Zeit bei jedem Heimspiel
des FC Barcelona beobachten. Bei genau 17 Minuten und 14 Sekunden kann
auf dem Feld passieren, was will. Die Fans skandieren
"in-de-pen-dencia", Unabhängigkeit. Geschichtsbewusstsein im Stadion:
Die Katalanen hatten sich im spanischen Erbfolgekrieg auf die falsche
Seite geschlagen. Am 11. September 1714 ergab sich Barcelona
französischen und kastilischen Truppen. Katalonien verlor seine
Eigenständigkeit und wurde damit endgültig spanisch, mit dem
bourbonischen Belagerer als neuem König. 298 Jahre nach diesem Tag
demonstrierten eineinhalb Millionen Katalanen auf Barcelonas Straßen für
die Unabhängigkeit.
"Ein Viertel der
Erwachsenen war damals auf der Straße", sagt Mas. Was soll ein
Politiker tun – das nicht ernst nehmen? Er löste das Regionalparlament
auf, das Ergebnis der Neuwahlen war für ihn Votum für ein Referendum.
"Eine Mehrheit von 80 Prozent des neuen Parlaments war damals für das
Recht des katalanischen Volkes, über die eigene Zukunft zu entscheiden."
Am 11. September 2013 waren es wieder eineinhalb Millionen, die sich an
den Händen fassten, um eine 400 Kilometer lange Menschenkette für die
Unabhängigkeit zu bilden. Mas zählen die Annalen als den 129.
Präsidenten der Generalitat de Catalunya auf, der katalanischen
Regierung. Juan Carlos ist der zehnte bourbonische König. Eine
Unabhängigkeitsbewegung tut sich leichter, mit solch einer Historie um
Verständnis für ihr Anliegen zu werben, leichter als das
norditalienische Konstrukt Padanien, das sich eine Partei einfach
ausgedacht hat. Aber taugt eine 300 Jahre alte Geschichte zur Begründung
einer Sezession, die das fragile Spanien wirtschaftlich erschüttern
würde und Katalonien gleich mit, die in der Verfassung nicht vorgesehen
und staatsrechtlich unklar ist, die europäisch höchst komplex würde?
In der EU wollen
die Katalanen ja bleiben. Allein: Die Frage der EU-Mitgliedschaft ist
heute unwägbar, es gibt nur ungenügende Modelle für den Umgang mit einer
Sezession in einem Mitgliedsstaat, aber kein Beispiel. Würde die EU den
Katalanen die Tür weisen, wie heutige Äußerungen hochrangiger Vertreter
nahelegen, und damit siebeneinhalb Millionen Bürgern, deren Land
ausschließlich an EU-Gebiet grenzt? Würde ihnen, auf deren Boden der
Acquis gilt, das Gemeinschaftsrecht, die EU-Staatsbürgerschaft entzogen?
Das Land, wäre
es denn eines, gehörte rechnerisch immerhin zu den Nettozahlern in die
EU-Töpfe, käme nach Eurostat-Zahlen in der Kaufkraft pro Einwohner unter
die ersten zehn, nach Deutschland,
vor Finnland – und überzeugtere Europäer findet man derzeit kaum. "Die
EU ist gebaut auf kultureller Diversität und nationaler Identität. Sie
hat nie Minderheiten missachtet, sich nie in Fragen der Sprache
eingemischt", sagt Andreu Mas-Colell, früher Harvard-Professor für
Ökonomie, heute Wirtschaftsminister Kataloniens. Und Mas sagt werbend in
Richtung Brüssel: "Wir wären offen für Vereinigte Staaten von Europa,
für einen wirklichen Föderalismus."
Der Chef der
Regionalregierung erzählt eine Geschichte der als tiefe Verletzung
empfundenen Behandlung durch Spanien, eine Geschichte, die nahelegt: Die
Wunden hat nicht das bourbonische Heer geschlagen, sondern die aktuelle
Regierung in Madrid. Mas sieht sich zum Handeln gezwungen, weil er um
das lebendige Merkmal katalanischer Identität fürchtet, die Sprache.
Katalonien zieht in seinen Schulen eine perfekt katalanisch-kastilisch
zweisprachige Gesellschaft heran. Nun aber geben schon Pikser Anlass zur
Sorge. Wenn nur ein Schüler Unterricht in Spanisch fordert, muss dem
nachgegeben werden, beschloss Madrid. Gerichte haben das in der Praxis
relativiert, aber dennoch: "Das ist eine Attacke auf unser
Erziehungssystem, gegen die Selbstverwaltung, gegen unsere Identität",
sagt Mas.
Zweitens:
Katalonien ist eine reiche Region, die jedes Jahr mehr an Madrid abgibt,
als sie zurückbekommt. An dritter Stelle von 15 Regionen in der
Rangliste des Steueraufkommens findet sich Katalonien an vorletzter
Stelle wieder, wenn alle Ausgleichsfonds erst bedient und dann wieder
ausgezahlt sind. Die Region hat dann neun Prozent weniger Ressourcen zur
Verfügung als der spanische Durchschnitt – ein Abstieg, der im
deutschen Länderfinanzausgleich systemisch ausgeschlossen ist.
Nun beginnt das
Rechnen und Vergleichen. Acht andere Regionen bekommen mehr aus Madrid,
obwohl sie weniger Steuern eintreiben. Drei andere nehmen weniger ein,
finden sich aber nach der Umverteilung über dem Durchschnitt. Drei
weitere bekommen netto Ressourcen vom Staat, obwohl sie vergleichsweise
reich sind. "Wir sind nicht dagegen, anderen spanischen Regionen zu
helfen. Aber jährlich acht Prozent der Wirtschaftsleistung abzugeben,
das bedroht die Gegenwart und die Zukunft meines Landes", sagt Mas. Im
Sommer 2012 wollte er den Finanzausgleich mit Madrid neu verhandeln. Es
wäre eine Chance gewesen, die Entfremdung zu stoppen und dem Protest die
Kraft zu nehmen. Rajoys Antwort war ein Nein. "Wir haben weder den
Willen noch den Versuch der spanischen Regierung gesehen, einen Dialog
zu beginnen", sagt Wirtschaftsminister Mas-Colell.
Es war nicht
die erste Chance, den aufkommenden Separatismus zu bekämpfen. 2006 nahm
das spanische Parlament ein neues Autonomiestatut für Katalonien an, das
das katalanische Parlament selbst ebenfalls guthieß. Rajoys Volkspartei
brachte das Gesetzeswerk vor das Verfassungsgericht, das 2010 die den
Katalanen wichtigen Teile für nichtig erklärte. Der Punkt, an dem es
kein Zurück mehr gab für die Unabhängigkeitsbewegung. "Wenn wir als
Antwort auf unsere Wünsche immer nur Nein hören, welche Zukunft kann
Katalonien da in Spanien haben?", fragt Mas. Mas hat kaum Illusionen
über die Machtverhältnisse. Das Madrider Parlament muss zustimmen, wenn
Katalonien ein Referendum abhalten will. Offiziell gefragt hat er nun.
"Wir erwarten eine Antwort in einigen Monaten, und wir vermuten, sie
wird negativ ausfallen", sagt Mas.
Illegal nennen
PP-Vertreter den Wunsch, die oppositionellen Sozialisten wenden sich
ebenso gegen das Referendum – eine legalistische Argumentation, keine
politische, aber eine bislang recht erfolgreiche. Und was dann? "Dann
werde ich die Katalanen zu einer Konsultation am 9. November aufrufen",
sagt Mas. Die wäre rechtlich nicht bindend, aber ein politisches Signal,
wenn es denn noch eines braucht. Die jüngsten verfügbaren
repräsentativen Umfragen von Ende 2013 zeigen: Mehr als 70 Prozent der
befragten Katalanen – was man auch per Zuzug wird, nicht nur per Geburt –
halten das Niveau der Autonomie für ungenügend. Weniger eindeutig ist
die Antwort auf die Frage: Was sollte Katalonien sein? "Ein unabhängiger
Staat", antworten 48,5 Prozent. Wenn morgen Referendum wäre, würden
allerdings fast 55 Prozent für die Unabhängigkeit stimmen.
Wirtschaftsminister Mas-Colell liest die Ergebnisse so: "Der Ausgang
eines Referendums ist sehr abhängig vom Angebot der spanischen
Regierung."
Rajoy soll zu
Verhandlungen gezwungen werden. Wenn das nicht fruchtet, werde eben die
nächste Regionalwahl 2016 als Referendum dienen, sagt Mas. Die Parteien,
die für die Unabhängigkeit sind, würden heute schon eine Mehrheit
erreichen. Mas will eine politische, eine saubere Lösung. "Ich habe mich
für einen ausschließlich demokratischen Kampf verpflichtet. Wir sind
ein friedfertiges Land", sagt er. Sein erstes Ziel ist es, das Recht auf
ein Referendum zu erstreiten, erst das zweite dessen Ausgang für die
Unabhängigkeit. Mas' Umfragewerte schwinden, die radikaler auftretende
Linke hat ihn gerade überholt.
Premier Rajoy
ist noch bis Herbst 2015 im Amt, bis zur nächsten Parlamentswahl in
Spanien. Rajoy vergleicht die katalanische Frage mit einem
Familienstreit, es brauche ein wenig Großzügigkeit und vor allem Geduld,
um ihn beizulegen. Er werde nicht in die Geschichte eingehen als
derjenige, "unter dessen Ägide Spaniens Einheit zerstört wird". Nicht in
dieser Amtszeit.
© Axel Springer SE 2014. Alle Rechte vorbehalten
Artikelfunktionen
Kommentare (1)
Drucken
Cap comentari:
Publica un comentari a l'entrada